Ambrotypie
300 Millionen Fotos werden jeden Tag ins Internet hochgeladen, geliked, geshared und danach sofort wieder vergessen. Zwischen dem nächsten hochwichtigen beruflichen Projekt, der allabendlichen Pflege mehrerer Social-Media-Accounts und der Pokémon-Jagd am Wochenende, hat die Menschheit irgendwann im neuen Jahrtausend vergessen, zwischendurch mal auf die Bremse zu treten, offline durchzuatmen und die Zeit für einen kurzen Augenblick anzuhalten — so, wie es ein gutes Foto tut.
Vor mehr als 150 Jahren, Mitte des 19. Jahrhunderts, wurde das sogenannte Kollodium-Nassplatten-Verfahren entwickelt. Fotografisches Kollodium, eine flüchtige Flüssigkeit aus Alkohol und Salzen, wird auf eine Platte aufgetragen. Danach werden die Jod- und Bromsalze des Kollodiums durch ein Silberbad lichtempfindlich gemacht, so dass die Platte durch Einlegen in eine historische Kamera belichtet werden kann.
Für eine Fotografiertechnik aus der Zeit der Frühindustrialisierung sind die Ergebnisse des Nassplatten-Verfahrens von einer ganz eigenen ungewöhnlich hochauflösenden Schärfe und Aura, die sich so mit keinem Bildbearbeitungsprogramm der Neuzeit künstlich nachstellen lassen.
Die schwarz-silbernen Portraits geben jedes Detail wieder, sind von einer unnachahmlichen Tiefe und durch die jedesmal anders verlaufenden Flüssigkeiten ist jedes Foto ein handwerkliches Unikat mit ganz eigenem Fingerabdruck. Ambrotypie kommt übrigens vom griechischen ambrotos, zu deutsch 'unsterblich'. Das Leben ist nämlich zu kostbar und besonders, um ständig Backups von digitalen Schnappschüssen zu machen.
Lassen Sie sich lieber für die Ewigkeit auf eine Silberplatte bannen. Ganz ohne Update-Download, vergessenem Passwort und Computer-Ärger, dafür mit Ruhe, längst ausgestorben geglaubtem handwerklichem Wissen und analogem Gerät, was Sie anderswo nur im Museum zu sehen bekommen.
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